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Schulgeschichten

Übers Hosenrunterlassen. Und über den Franz und die Gabi. Plus/Minus.


Kennt ihr die Geschichten vom Franz? Ich hab sie aufgesogen. Damals als Kind und heute als Erwachsene. Der süße kleine Franz mit seinen süßen blonden Kringellocken. Das ich ihn eben süß genannt habe, würde dem Franz vermutlich gar nicht schmecken. Der Franz läuft nämlich immer Gefahr, für ein Mädchen gehalten zu werden, was ihm überhaupt nicht taugt. Und wenn er sich dann deswegen aufregt, kriegt er obendrein noch immer so eine Pieps-Stimme. Was sein eigentliches Problem leider zusätzlich verstärkt.


Deswegen hat der Franz sogar einmal seine Hosen runtergelassen. Im eigentlichen Sinne. Weswegen er sich damals in den 80ern ziemliche Brösel mit der Frau Berger eingeheimst hat.


Heute wäre das wahrscheinlich anders. Heute würd sich die Berger das nicht mehr trauen. Heute würde man die Diskussion vermutlich eher über die Diskussion führen: Also soll man den Kindern in der Öffentlichkeit überhaupt die Hosen runterlassen dürfen? Wenn nein, warum nicht und wenn ja, bis zu welchem Alter? Ganz generell stellt sich ja auch noch die Frage, ob es die Diskussion „männlich/weiblich“ überhaupt noch braucht. Würden wir uns mit der Idee der Geschlechtertrennung nicht ohnehin nur viel zu sehr einschränken in unsere Denkweise und grundsätzlich in unserem gesellschaftlichen Dasein? Sowieso wäre auch zu hinterfragen, ob das im Grunde nicht nur ein Boomer-Problem ist und es sich in Wirklichkeit eher um einen Generationenkonflikt dreht? Außerdem: Was müsste mit der Frau Berger passieren, dem Hausdrachen, die den Franz auf frischer Tat ertappt und ordentlich geschimpft hat?


Schimpfen haben meine Kinder übrigens bei der Christine Nöstlinger gelernt. Nicht persönlich. Leider. Das wäre schon cool gewesen. Aber aus ihren Büchern. Keiner sagt nämlich so hingebungsvoll „du Dödel!“ wie der liebe Josef. Der große Bruder vom Franz. Der in den Geschichten eigentlich oft gar nicht so lieb ist. Aber er ist und bleibt der große Bruder und für den Franz immer ein Vorbild.


Und selbstverständlich bekommen meine Kinder die Frau Nöstlinger vorgelesen. Klassiker, die in jeden Haushalt gehören. Finde ich. Und neben ihr steht dann gleich die Frau Lobe. Die gehört im Bücherregal auch in das Fach MUST-READ-KINDERBÜCHER. Dazu gesellt hat sich bei uns auch noch Monsieur Marc-Uwe Kling. Kein Klassiker (ich glaub, für einen Klassiker muss man schon tot sein. Sagt zumindest der Falco. Und das tut der Herr Kling halt nicht). Allerdings bin ich mir beim guten Herrn Kling nie sicher, ob er wirklich Kinderbücher für Kinder schreibt, oder Kinderbücher für Erwachsene. Ich glaube ja, es ist Letzteres. Wie auch immer – ich finde sie herrlich – wie eben auch alle Geschichten vom Franz, um den es heute geht.


Und um ein Mädchen.


Zwei sogar.


Und darum, wie es denen geht.


Ähnlich wie dem Franz nämlich. (Warum man ähnlich MIT „h“ schreibt und nämlich OHNE und man auch noch dämlich sein soll, wenn man das tut, das würde ich zu gerne mal von den Herrn Duden und Langenscheidt erfahren. Unfuckingfassbar.)


Und mir.


Dann sind´s ja jetzt schon drei Mädels.


Hm.


Wie spannend.


Ob das für diese Geschichte noch relevant sein wird (oder heißt es „werden wird“)?


Der Franz hat nämlich eine Freundin. Die Gabi. Und die ist nicht nur irgendeine Freundin, sie ist die beste Freundin, die der Franz hat. Mit der Gabi ist der Franz schon in den Kindergarten gegangen und praktischerweise wohnt die Gabi gleich in der Wohnung nebenan.

Wie die Gabi so ist?

Schlau, selbstbewusst und durchaus auch recht forsch und resolut. Die Gabi gehört in die Kategorie: IchziehdichausdemDreckwennduwasangestellthastaberdanachkannstdudirwasanhörenmeinLieber.


Die Gabi kann aber vor allem eines: Den Franz so gern haben, wie er ist. Und deswegen ist die Gabi eben auch die beste Freundin vom Franz.


Ich frag mich ja, ob die Gabi und der Franz später mal heiraten werden würden (das stimmt jetzt ganz sicher nicht, klingt dafür aber recht originell, finde ich). Ich weiß es nicht. Ich persönlich glaub ja eher, die sind Besties forever.


Kommen wir zurück zur eigentlichen Geschichte, in der der Franz in die Schule kommt. Zur Schuleinschreibung geht der Franz mit seiner Mama und sagt dabei der Frau Direktor noch, dass er auf jeden Fall mit der Gabi Gruber in einer Klasse sein will.


Am ersten Schultag steht dann der Franz samt Mama vor dem großen Schultor und findet dort die Listen mit den Namen der Kinder pro Klasse. (Damals war das mit dem Datenschutz noch nicht so. Da ging das noch.). Und dann passierts: Der Franz kommt in die 1a und die Gabi in die 1b. Und weil der Franz zu dem Zeitpunkt gerade mit der Gabi zerstritten ist, findet der Franz, kann man das ruhig so lassen und erklärt seiner Mama, dass er eh viel lieber in die 1a geht. Ohne der Gabi.


Als sich, allerdings, nach zwei Wochen der Franz und die Gabi wieder versöhnen und der Franz drauf kommt, dass er jetzt doch gerne mit der Gabi zusammen in einer Klasse wäre, ist eine Änderung nicht mehr möglich und so bleibt der Franz in der 1a und die Gabi in der 1b. Was den Franz natürlich sehr unglücklich macht.


Wie´s der Gabi damit geht, erfährt man glaub ich nie so recht. Aber ich denke, die Gabi kommt da eigentlich recht gut damit zurecht. Sie ist ja auch ein recht toughes Persönchen.


Anders, als ein anderes, kleines toughes Persönchen, dass mir sehr, sehr nahe steht. Der ist nämlich ähnliches passiert: Ihre drei (besten) Freunde gehen nämlich auch in die andere Klasse. Und das ist ein Problem.


„Ein Problem ist“ im Übrigen, „wenn man mit einer Sache nicht gut zurecht kommt.“, sagt die Frau Nöstlinger.

Es ist nämlich so: Die kleine Maus hat dieses Jahr in die Schule begonnen. Die Vorfreude war groß, die Aufregung auch. Lange haben wir auf sie gewartet. Und dann war sie endlich da. Die Nachricht auf Schoolfox. Gut, nicht so erdig wie die Listen am Tor, aber dazwischen liegen halt auch schon ein paar Jährchen. 1,2… 10. Maximal. Und weil das mit dem Datenschutz mittlerweile wirklich ein großes Thema ist, haben wir auch gar keine Liste mehr bekommen. Ganz daten-ungeschützt haben wir Mamis uns die Informationen dann über What´sApp mühsam selbst zusammen geklaubt und so erfahren, dass weder Tick, Trick noch Track (Namen von der Redaktion geändert), wohl leider doch in die andere Klasse gehen werden.


Der Schock war groß.

Die Tränen dick.

Und nicht nur die der kleinen Maus.


Zusammen Heulen hat aber auch was. Erstens gibt es einem das Gefühl, nicht alleine zu sein. Es schafft Vertrauen und Vertrautheit. Und diese Vertrautheit erlaubt einem wiederum, sich wirklich zu öffnen und das auszusprechen, was einen wirklich, tief im Herzen, bewegt. Man traut sich darüber nachzudenken und im besten Falle auch anzusprechen, worin die wahren Sorgen/Ängste liegen. Außerdem hat man gemeinsam dann meistens auch die besseren Ideen, wie man´s wieder lösen könnte. Manchmal im Leben ist es aber auch so, dass es für das Problem tatsächlich keine Lösung gibt. Da ist es dann einfach so. Sich dann in die Arme zu nehmen und einfach mal alles rauszulassen, ist oft schon die beste erste Hilfe, die man leisten kann. 


Den ganzen Sommer hinweg habe ich meiner kreativsten Ader volles Schöpfertum gegönnt und alles an pädagogisch wertvollen Ideen rausgehaut, die ich nur irgendwie zusammentragen konnte.


Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nämlich schon, dass unsere kleine Maus ein Zebra ist. Also dieses Mal nicht im eigentlichen Sinne. Keine Sorge, es geht hier nicht um eine Metamorphos´sche Verwandlung, sondern eher um die Tatsache, dass das Kind in die Zebraklasse geht.


Wir haben uns alles an Zebrawissen reingezogen, was wir finden konnten: Zum Beispiel, dass das Zebra ein Herdentier ist und die Herde immer zusammenbleibt und gegenseitig auf sich achtet. Und dass sie sich sogar untereinander als Wächter abwechseln, um sich zu schützen. Dass es jedes Zebra nur einmal auf dieser Welt gibt (…wer sich an dieser Stelle denkt: „Nanona“ hat mich noch nicht fertig schreiben lassen…), denn sein Streifenmuster, so wie unsere Fingerabdrücke, sind tatsächlich einzigartig und einmalig. Dass das Streifenmuster im Übrigen dazu dient, dass sie aus der Entfernung kaum zu sehen sind, denn durch die Streifen scheint sich der Umriss ihres Körpers quasi aufzulösen. Rein optisch zumindest. Nicht Houdini-mäßig. Dass Zebras meist in kleinen Gruppen bis zu 20 Tieren leben, sich in der Regenzeit aber gerne mit anderen Herden zusammenschließen und damit oft riesig große Herden bilden. Und: Dass sie sich manchmal sogar mit anderen Tierherden zusammentun, wie zum Beispiel Straußen oder Antilopen und trotzdem immer ganz genau wissen, wer zu ihrer Familie gehört (sie erkennen sich nämlich an Geruch, Stimme und Fellzeichnung).


Gut, gell?


Selbstverständlich haben wir uns die Zebras in den Sommerferien auch ganz aus der Nähe angesehen. Leider nicht in ihren natürlichen Territorien, Afrika ist sich nicht ganz ausgegangen, aber immerhin haben wir es bis nach Schönbrunn[1] geschafft. Eine Fahrt nach Wien mit 3 Kids fühlt sich auch manchmal wie eine Mini-Safari an.


Auf die Namenspickerl für die Stifte und Co haben wir Zebras drucken lassen, eine Brotdose mit Zebras beklebt, ein Zebrakleid für den Schulanfang und einen Zebraanhänger für die Schultasche besorgt.

Mehr Zebra war einfach nicht drin.


Der erste Schultag war großartig! Kind im Zebrakleid, Schultüte in der Hand, Schultasche samt Zebra am Rücken, das obligatorische Foto vor dem Hause. Super nette Lehrerin, kleine Klasse, eine alte Freundin wieder entdeckt. Das Zahnlückenstrahlen hätte nicht breiter sein können.


Eine Woche lang ging alles ziemlich gut. Die ersten Stunden in der Schule, die erste Hausübung, das erste Mal Turnen, ein erster Ausflug…  Und immer wieder zwischendurch auch die Frage nach ihren Freunden. Wir haben sie natürlich so oft es geht besucht oder eingeladen.


Und dann kam der Moment, vor dem ich mich ehrlicherweise schon die ganze Zeit ein bissal gefürchtet hab. Weil irgendwie hab ich schon gerochen, dass das Thema so noch nicht ganz durch war. Ich hab befürchtet, dass es auch noch den Moment geben wird, in dem das Kind dann zum ersten Mal, so wirklich richtig und echt, merkt, dass es manchmal im Leben Dinge gibt, die sich verändern und danach nie mehr so sein werden, wie sie mal waren.


Wer sich an dieser Stelle denkt: „Die macht sich aber verdächtig viele Gedanken. Ich frag mich ja in dieser Geschichte schon auch mal, wer mit der Situation weniger gut zurecht kam. Das Kind oder die Mutter.“…


…NO SHIT SHERLOCK!


Anyway.


Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Denn: An dem Tag, an dem sie zum ersten Mal in der Klasse umgesetzt wurden, ist meine Maus aus dem Schulgebäude rausgestapft, hat noch intensivst mit den Augen ihre Tränen weggeblinzelt, um dann, als sie bei mir angedockt ist, quasi im freien Fall mal alles rauszulassen: „Mama, das ist alles soooo blöd! Ich fühl mich überhaupt nicht wohl in der Klasse! Ich hab da gar keine Freunde!“


Ich habs dann geschafft, sie zumindest mal kurz so aufzufangen, dass eine Fahrt mit dem Fahrrad nach Hause irgendwie möglich war. Aber als sie dann das Haus betreten hat, hat sie die Schultasche und die Jacke fallen lassen, die Schuhe in die Ecke gepfeffert, ist raufgelaufen in ihr Zimmer, hat die Tür zugeknallt und losgeschrien und geheult. Ich hab sie gehört. Unten. Im Erdgeschoss.


In den ersten Stock laufen, die Tür zuknallen und losschreien ist bei uns im Haus das internationale Zeichen für: „Ich brauch jetzt mal meine Ruh!“.

Hab ich ihr dann auch gegeben.

Aber als es dann etwas ruhiger geworden ist, bin ich vorsichtig die Stufen raufgegangen, hab ebenso vorsichtig an der Tür geklopft, gewartet, bis mir Einlass gewährt wurde und bin reingegangen. Im Zimmer gefunden habe ich dann ein kleines Häufchen Elend, eingehüllt in Pölster, Decken, Kuscheltiere, alles am Boden zu einer kleinen Kuhle zusammen gerollt. Mitten drin meine süße kleine Maus, tränende Augen, triefende Nase. Mit Schluckauf.


„Ich vermiss meine Freunde sooooo!“

PAUSE.

„Und jetzt muss ich auch noch neben dem blöden Dieter* sitzen!“ (*Name selbstverständlich von der Redaktion abermals geändert.)

PAUSE.

„Alles its so blöd! Ich will wieder in den Kindergarten! Da war alles gut!“


Da saßen wir also. Zwei Zebras. Eins groß, eins klein. Beide mit Tränen in den Augen, die ungefähr die Größe von Zebraäpfel hatten.


Freilich hab ich´s noch mit der pädagogisch wertvollen Keule versucht. „Schau mal, Schnecko,“ hab ich ihr gesagt, „die Frau Lehrerin hat sich sicher dabei was gedacht, dass sie gerade euch zwei zusammen gesetzt hat. Jedes Kind kann bestimmte Dinge total gut und andere Dinge noch lernen. Und wenn man genau die zwei Kinder zusammensetzt, die sich gegenseitig noch Dinge beibringen können und vom anderen noch was lernen können, dann ist das ja iiiideaaal! Wenn ich eine Frau Lehrerin wäre, ich würde das genauso machen!“


„Aber der Dieter,“ sagt mein Schneckilein „der kann gaaaaaar nix. Der kann ja nicht einmal die Schere halten. Das hab ich für ihn machen müssen!! Was soll ich denn von dem noch lernen?!“


Mir war schon klar: Es ging nicht um den Dieter.


Es ging um Tick, Trick und Track UND es ging und ging oder geht ums Loslassen. Um ihres, aber vor allem auch um meines.


War eh wieder mal klar.


Hätte halt gehofft, wenn es diesmal doch was anderes gewesen wäre.

Theoretisch ja möglich.

Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich auch immer erst zuletzt.

Aber nein, es sollte nicht sein. Und relativ rasch war mir klar: Ah, da ist es wieder. Mein Lieblingsthema. Willkommen zurück!


NICHT.


Die Frage war nur, was genau ich loslassen müsste. Das Kind? Die Kontrolle? Den verzweifelten Versuch, alle Schmerzen meiner Kinder abzufedern? Oder schlicht der Gedanke, die Vorstellung, sie vor allem beschützen zu können – auch vor Enttäuschungen, Sorgen und Ängsten?


Und dann habe ich wieder mal viel nachgedacht und viel geredet. Eh schon wissen mit wem. Die üblichen Verdächtigen halt.

Und einige von diesen üblichen Verdächtigen haben mir dann, mehr oder weniger durch die Blume klar gemacht, dass es vielleicht doch nicht (nur) ums Loslassen geht.


Wer jetzt auf einen Jubelschrei meinerseits gehofft hat…njet.

Traufe sag ich nur.

Traufe.


Vielleicht ist es nicht nur das Loslassen.

Vielleicht ist es auch das Aushalten.

Aushalten, dass das Kind traurig ist.

Aushalten, dass man nichts tun kann, außer da sein.

Aushalten, dass es das ist, was zum Leben nun auch einmal dazugehört.

Aushalten, dass ich als Mama da jedes Mal nicht nur mitfühle, sondern mitleide.


Wenn Kinder traurig sind, dann sind sie traurig. Ohne Filter. Ohne ein „das wird schon wieder.“ Und wenn sie jemanden gern haben, wenn sie jemanden lieben, dann mit Anlauf. Aber ohne Helm.


Und auch wenn wir Österreicher uns das kaum vorstellen können oder wagen vorzustellen – immerhin ist PFLICHT PFLICHT! (und HelmPFLICHT HelmPFLICHT) - Punkt aus.

(Meine lieben Freunde aus den deutschen Gefielden, I know that you can feel me.)


Aber manchmal, manchmal da ist es tatsächlich so, dass ein Leben ohne Helm einfach viel geiler ist.

Der Balkan fängt halt doch in Wien an.


Und dann denke ich wieder an den Franz. Und an die Gabi. Die beide immerhin seit gut 26 Jahre befreundet sind. Ohne Helm. Dafür mit allem anderen Drum und Dran.


Und manchmal, da denk ich auch an die Oma vom Franz. Die immer ganz authentisch und ganz ehrlich ist. Für den Franz manchmal sogar einen Tick zu ehrlich.

Und die würde mir vermutlich relativ ungefragt, relativ ungefiltert Folgendes mit auf den Weg geben:

„Das Leben als Mama ist kein Kindergeburtstag, mein Liebe! Du musst lernen loszulassen, damit deine Kinder lernen dürfen, festzuhalten. Nämlich an sich selbst!“

Jo eh.


Womit wir wieder beim Hosenrunterlassen wären.


Was ja klar war.

 

 




 
 
 

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