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wei (h) n ACHTEN

Autorenbild: Barbara KolinowitzBarbara Kolinowitz

Es ist kurz vor Weihnachten. Nebst dem Duft von frisch gebackenen Vanillekipferln, gut durchgezogenen Glühwein(standlern) und frisch geschnittenen Nadelbaumgehölzen findet man, schön regelmäßig, wenn man das Näschen genau hinhält, auch immer wieder mal den etwas bitterlich herben Duft von Angespanntheit und Gereiztheit.


Ich bin olfaktorisch recht fit. Ich riech sowas. 


Ihr auch?


Wenn ich, zum Beispiel, auch das ganze restliche Jahr über tatsächlich sehr gerne Lebensmittel einkaufen geh (ich mag das wirklich), so hat sich in den letzten Jahren in meiner Familie doch eingebürgert, dass den letzten Lebensmitteleinkauf vor den großen Feiertagen mein Mann vornehmen muss. Weil wir eines Tages beschlossen haben: Weihnachten zusammen zu Hause zu feiern ist dann doch schöner, als alleine in einer abgeschlossenen Zelle mit teilweise versperrtem Blick auf den betonierten Innenhof eines großen, nicht allzu romantischen Gebäudes mit hohem Tor und weihnachtlich geschmückten Wachebeamten drumherum.


Ich bin ja grundsätzlich eigentlich ein Weihnachtsfan. Ich mags wirklich. Vielleicht nicht so einer, der schon im September damit beginnt, das ganze Haus innen und außen mit Lichterketten zu dekorieren. Unsere einzige Lichterkette schaffts ehrlicherweise meistens erst am 24. auf den Gartenzaun und löst meist zeitgleich die Halloween Deko ab. Kurz aber effektiv, sag ich da nur. Die gute Lichterkette kann nämlich auch blinken! Jahhhhh!


Ich liebe auch die Christkindlmärkte. Leider hab ich´s schon seit Jahren auf keinen einzigen mehr geschafft. Seitdem wir Kinder haben, hält sich der früher fast alltägliche Glühweinumtrunk recht stark in Grenzen. So viel Ausgang krieg ich dann doch noch nicht.


Und im Grunde mag ich auch die Vorweihnachtszeit. Gut, zugegeben, wenn ich noch ein einziges Mal unbedacht meinen Finger nach einem versehentlichen Schokotunk abschleck, muss ich mich glaub ich leider übergeben. Aber abgesehen davon…


Es ist halt wirklich High Season. Schon backzeittechnisch. Zuerst 2 Tage Non-stop Keksmarathon mit meiner Mama. Traditionell. Und wenn wir uns, auch mittlerweile traditionell, seit gefühlt 20 Jahren vornehmen, nächstes Mal wesentlich weniger zu backen, unter 8-12 Sorten steigen wir dann doch nie aus. Doppelte Masse versteht sich. Dann noch ein Keksmarathon mit den Kindern. Gut, dauert zeitlich nicht so lange. Aber fünf Kinder im Alter zwischen 3-8 Jahren an einem Tisch Kekse backen und verzieren zu lassen braucht dann doch viel Nervennahrung mit extra Kohlensäure im Glas. Da bewundere ich dann schon immer die Kindergartenpädagoginnen, die das mit wesentlich mehr Kindern und wesentlich weniger Alkohol hinkriegen. CHAPEAU den Damen und den Herren, meine tiefste Bewunderung an der Stelle.


Eine meiner Töchter ist ein Fast-Christkind. Nachdem absehbar war, dass das eine knappe Partie werden könnte, hab ich ihr als Ungeborenes jeden Tag gewünscht, sich einen eigenen Tag für ihren Geburtstag auszusuchen und nicht den Geburtstag mit dem Jesuskind teilen zu müssen. Den Wunsch hat sie mir dann auch tatsächlich erfüllt. Wenngleich sie´s auch sehr spannend gemacht hat. Sieben Tage später als vereinbart ist sie dann am 23.12. um 23:31 Uhr auf die Welt gekommen. DAS nenn ich mal Präzision! Oder Last-Minute-Junky. Je nachdem. Sie kann jedenfalls beides. Immer schon. Schweißtreibend, sag ich euch. Schweißtreibend.


Und aus diesem Grunde gibt’s im Dezember noch mehr „Gebackenes“. Dieses Mal waren´s 40 Stück Schneemanncakepops mit futzikleinen Details. Präzisionsarbeit war selbstredend gefragt. Passend zum Kind. Geburtstagstorte brauchts dann natürlich auch noch. Es soll ein Rentier werden. Hab ich nicht so viel Erfahrung damit. Hoffentlich schaut´s am Ende nicht aus, wie ein Wildschwein.


Zwischendurch möchte sich ein Wichtel jeden Tag einen neuen Streich einfallen lassen, der Adventkalender will inhaltlich passend, fair! (grooooßes Diskussionspotential) und abwechslungsreich gefüllt sein, das Nikolohäuserl (eine Tradition, die ich von meiner Oma übernommen hab) will pünktlich am Abend des 6. am Fenster stehen, der Adventkranz möchte gerne gebunden werden und ein schöner, buschiger Christbaum muss natürlich auch her. Ach ja, und die Geschenke. UFF. Aber DAS Thema ist einen eigenen Beitrag wert. Mindestens.


Jo. Und bei all dem Trubel, arbeitstechnisch ist das natürlich auch für mich eine von zwei Hochsaisonen, kann´s dann natürlich vorkommen, dass die Gemüter da hin- und wieder auch mal ins Schwitzen kommen. Die der anderen. Selbstredend.


Ich bin ja wirklich nur froh, dass ich persönlich keine blinden Flecken habe…


Und nicht nur bei mir, sondern auch bei den Kindern merk ich: Ja, es wird… intensiver… Die Nerven blanker, die Geduld kürzer, der Umgangston schärfer. Irgendwie insgesamt... knackiger.


Unsere Jüngste befindet sich gerade in einer intensiven Trotz.. äh… Autonomiephase. Je kürzer die Anzahl der abzuwartenden Tage bis Weihnachten, desto höher die Anzahl der DubistnichtmehrmeinFreund!-Kommentare. Meistens kommt ein: „Du bist nicht mehr mein Freund! Nur mehr der Papi!“.


Mittlerweile hält sich meine Aufregung darüber in Grenzen, weil ich gelernt habe, dass sie innerhalb weniger Minuten meistens auch schon wieder vergessen hat, dass wir ja eigentlich nicht mehr befreundet sind. Nachtragend ist sie jedenfalls nicht. Und, zugegeben, was mich noch mehr beruhigt, ist, dass sich nach weiteren wenigen Minuten die ganze Gschicht um glatte 360° drehen kann und dann der Papi kein Freund mehr ist, nur mehr ich. Letztes Mal war sie erstmalig auf uns beide gleichzeitig sauer, dann war nur mehr ihre Lieblingsbetreuerin im Kindergarten ihr Freund.


Tja, mein Schatz, Familie kann man sich halt leider nicht aussuchen.


Meine Mittlere ist jetzt in einem Alter, sie ist jetzt ein Maxikind, das heißt das letzte Jahr im Kindergarten, wo sich viel bewegt, viel Dynamik im Freundeskreis im Spiel ist. Ganz nach dem Motto: Ich bin jetzt eine von den Großen, die Großen sind jetzt ein eigenes Team. Manchmal ist nicht ganz klar, wer in welchem spielt und ob das heut noch so ist, wie gestern. Hier wird oft neu auf- und umgestellt, ohne das Mitspracherecht des Trainers. Mal ist man Stürmer, mal Verteidiger, mal sitzt man auf der Bank. FlexiFußball quasi. Ist auch nicht immer ganz trivial. Wer soll da noch den Überblick bewahren? Wenn´s in den Jahren davor bei Streitereien oftmals die Tränen der Wut waren, kommen in dem Alter dann schon auch noch die Tränen der Enttäuschung oder der Trauer hinzu.


Im Falle meiner ältesten Tochter wird´s dann nochmal diffiziler. Dann gibt’s noch ein Extra-Topping in den Ausformungen: Angst, Verzweiflung, Unsicherheit und Scham.

Wenn´s da mal gscheit kracht, ist meistens schon viel im Spiel. Und ich habe den Eindruck, bei Mädels oft noch mehr, als bei Burschen.


Und weil mich dieses Thema schon länger begleitet, habe ich mich auch kürzlich sehr lange und ausführlich mit einer guten Freundin und auch Expertin auf ihrem Gebiet darüber unterhalten. Meine Frage war nämlich, warum Mädels da oft gefühlt so viel garstiger, tiefgreifender und verletzender agieren können als Burschen. Meine Vermutung war nämlich, dass das keine biologisch herleitbare Reaktion ist. Also, dass es nicht auf die Anzahl der Chromosomen zurückzuführen ist, dass Burschen/Männer hier anders agieren, als Mädels/Frauen. Und sie hat bestätigt, was ich mir auch zusammengereimt hätte und mir aber auch noch erklären können, woran es denn schlussendlich liegt.  Tatsächlich ist es nämlich sehr wahrscheinlich so, dass wir, nach wie vor, die Mädels anders erziehen, als die Burschen. Vermutlich oft auch ganz unbewusst. Immerhin haben auch wir Eltern als Kinder Gepflogenheiten und Werte wiederum von unseren Eltern gelernt und aufgesaugt, derer wir uns oft auf den ersten Blick vielleicht gar nicht mal so bewusst sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat es also viel mehr mit Erziehung und gesellschaftlichen Normen zu tun als mit biologisch herleitbaren Phänomenen.


Hat von euch schon jemand mal den Satz: „Burschen sind halt wilder.“ gehört?


Ja?


Und wie ist es mit dem: „Mädels sind halt wilder.“


Anyone?


Ich mach mir daraus folgenden Reim: Wenn da ganz viel Wut ist, muss die Wut irgendwie raus. Dafür gibt es zumindest zwei Ventile: Stimmlich verbal oder physisch körperlich. Es gibt auch vermutlich noch andere, aber bleiben wir der Einfachheit halber in diesem Beispiel bei den beiden genannten. Wenn ich jetzt also zwei Ventile habe und eines davon verschließe, ändert das ja mal grundsätzlich nichts an der Masse an Druck. Die Baranzahl des Wutdrucks bleibt also gleich hoch. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Ventile hingegen hat sich aber verringert. Der Druck kann also nicht mehr durch zwei Öffnungen weichen, sondern nur mehr durch eine, was unter Umständen einen Überdruck erzeugen kann.


Wenn also nur mehr 1 Ventil übrigbleibt und sich das auf die verbale Ebene beschränkt, dann kann es sein, dass das so richtig stark aufgeladen wird. Dann wird vielleicht nicht mehr geschlagen und gehaut, aber es wird vielleicht geschwiegen (mit dir rede ich nicht mehr), ausgeschlossen (du gehörst nicht mehr dazu), gehänselt, ausgelacht, es werden Streiche gespielt, Freunde ein-, aus- und umgespannt und viele andere Varianten in der, oder in anderen Ausprägungen aus dem Hut gezogen.


Für meine Tochter ist das keine feine Zeit. Aber sie (er)trägt das mit einer Würde, die ich schon sehr beeindruckend finde.


Und dann ich.


HAHAHAHA.


Ich bin so cirka auf der anderen Seite der Stange daheim. ICH halte das nämlich gar nicht aus. ICH bin die Löwenkönigin unter den Mamas. Da stellt sich meine eh sonst auch unbändige Mähne im 90°Winkel von alleine auf, da schleif ich mir meine Zähne und Nägel nach und lass einen Brüller los, dass der ganze Dschungel wackelt. Und lauere. Auf meine Beute.


Zumindest inside myself.


OK, zugegeben, manchmal auch outside.


Und während am Mittagstisch drei Finger meiner rechten Hand auf die Tischplatte trommeln  - taram taram taram -  frag ich mit geschlossenem Kiefer, gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen: „Und? Wie war´s heute in der Schule?!“

Und wenn dann nur ein Haucherl von „Ach, nicht so gut.“ kommt, bin ich bereit zum Absprung.


Und dann entwacht wieder die Löwin in mir. Was soll ich sagen, beim letzten Mal wurde ich schon von meiner Tochter abgemahnt: „Mama, wenn du dich immer so aufregst, erzähl ich´s dir nicht mehr!“


Leider hat sie recht. Aufregen bringt niemanden was und löst das Problem auch nicht.


Wenn ich dann also wieder nach Luft schnappen kann und mich dann wieder einigermaßen beruhigt habe, meine Mähne sich wieder leicht nach hinten gelegt und meine Lippen wieder einen dezenten Rosaton annehmen und nicht mehr bleichweiß vom vielen Zusammenpressen sind, kann ich auch wieder nachdenken.


Ich also wieder mal ab zu meinem Mann: „Du, wir müssen reden!“ Nach einer kurzen Schockstarrer seinerseits, die Männer halt so kriegen, wenn sie diesen Satz hören, haben wir dann gemeinsam nachgedacht. Und wie so oft hatte er dann auch wieder mal die richtigen Antworten für mich.


Wir helfen unseren Kindern nicht, indem wir ihre Konflikte für sie austragen. Wir können ihnen nur den Rücken stärken und versuchen, ihnen Werkzeuge mit auf ihre Lebenswege zu geben, die ihnen dabei helfen, solche Situationen souverän selbst zu meistern.

In einer ruhigen Minute habe ich mich dann mal gefragt, warum mich das eigentlich gar so arg auf die Dschungelpalme bringt. Löwen sind ja bekanntlich nicht die Bergziegen unter den Dschungelbewohnern. Und dann bin ich relativ schnell draufgekommen, dass ich ganz einfach meine eigene Geschichte mit ins Boot gebracht habe. Weil auch ich, wie wahrscheinlich so viele unter uns, zumindest einmal in der eigenen Kindheit so oder so ein ähnliches Erlebnis hatten. Oder mehrere. Und das triggert mich halt. Ein bissal. ROOOAAAARRRRRRR


Und ich triggere mein Kind.


JIPPIEEH


Schnauf.


Ich finde es soooo verdammt schwer, als Mama zuzusehen, wie die eigenen Kinder manchmal solche Hürden nehmen müssen. Ich würde viel lieber vor ihnen herlaufen und ihnen den Weg zurecht trampeln, damit sie möglichst nur mehr über kleine runde Kieselsteine laufen müssen und die großen Brocken erst gar nicht zu Gesicht bekommen.


Aber was lerne ich ihnen damit und was gebe ich ihnen hierbei mit? Das die Welt nur aus kleinen runden Kieselsteinen besteht? Das die Welt flach ist und dahinter gleich das weite, ruhige, türkisblaue Meer liegt?


Würde ich gerne. Entspricht halt leider nicht der Topgrafie unseres Planeten. Die Bergfexen unter euch würden nämlich spätestens an dieser Stelle ein lautes Veto einlegen: Hallooo?!  Was ist mit den wunderschönen, riesengroßen, unglaublich faszinierenden Gebirgszügen?


Ich sag´s, wie´s is: Ich bin und bleib ein Flachländler. Ich hab Höhenangst und steh dazu. Ich hab auch irrsinnig gern gute, gesättigte Luft zum Atmen. Raufzukraxeln damit ich dann wieder runter kann... Da erschließt sich mir oft der weitere Sinn dahinter nicht so ganz.


Ich kann aber der Idee was abgewinnen, dass der Aufstieg auf so einen Berg eine massive Anstrengung sein kann. Das man aber auf den Weg dorthin so viel mehr entdecken kann, wenn man die Augen und Ohren offenhält und Dinge mitbekommt, die man von unten erst gar nicht wahrnehmen könnte UND dass der Ausblick, den man dann vom Gipfel aus hat, unglaublich atemberaubend und weltverändernd sein kann.


Meine super liebe Experten-Freundin (Name der Redaktion bekannt), hat dann noch was ganz anderes Tolles zu mir gesagt: „Schau mal, deine Tochter ist ja schlau. Geht´s vielleicht eher darum, dass du es aushältst, dass sie verletzt wird?“


BINGO.


Genau darum geht´s.


Und dann hat sie noch was anderes Schönes gesagt, und zwar:


„Wenn die Homebase passt, kannst all den Scheiß als soziales Learning betrachten.“

 

wei (h) n ACHTEN.

 

Wenn´s Kind wei(h)nt:

ACHTEN auf sich, und seine eigenen Gefühle, ACHTEN auf sein Gegenüber und dessen Zustand. Wertvoll miteinander umgehen. Dasein, zuhören, aufmerksam bleiben, eine grundsolide Homebase bieten, Werte erkennen, vermitteln und erklären, Rücken stärken, Türen offenhalten, Schoßplatz anbieten, Couch vorwärmen, heiße Schokolade und Vanillekipferl zaubern, klettern üben, Aussicht genießen können.


DAS ist für mich wei(h)nACHTEN.


Hinter jedem türkisblauem unendliche weitem Meer steht ein grundsolides, massiv beeindruckendes Gebirge. Beides birgt seine möglichen Gefahren und gleichzeitig birgt beides so viel Lebensfreude und Zufriedenheit. Das eine braucht oft das andere. Manche nennen es Yin und Yang, manche Sonne und Schatten.


Lernen wir unseren Kindern das Klettern und Schwimmen. Dann kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen. Das und eine grundsolide Homebase.

In diesem Sinne wünsche ich euch eine - Zitat einer lieben Freundin (credits to Anne♥️ ) - wunderschöne und Kinderaugen-zauberhafte Weihnachtszeit.


💚❤️💚


Genießt das aufeinander ACHTEN, nur wer schon mal ganz oben am Gipfel war, kann den unglaublich atemberaubenden Ausblick für sich festhalten.


Alles Liebe,

frohe Weihnachten und einen abgefahrenen 😉 Start ins neue Jahr wünsche ich euch von ganzem Herzen,


eure Barbara

 

 

 

 

 

 

 

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